Verlässt man Stolberg in nordwestlicher Richtung im
Tal der Lude, stößt man an der Einmündung des
Klippenwassers auf einen Grenzstein, der die Jahreszahl 1835
trägt.
Der Stein markierte die Grenze der alten Ämter Ebersburg
(Gemarkung Herrmannsacker) und Stolberg und damit der Grafschaften
Stolberg-Roßla und Stolberg-Stolberg. Zum Zeitpunkt der
Aufstellung des Steines gehörten beide Grafschaften
verwaltungsrechtlich zum Kreis Sangerhausen in der preußischen
Provinz Sachsen. Mit der DDR-Verwaltungsreform im Jahre 1952
änderte
sich nicht nur die Kreiszugehörigkeit: Herrmannsacker wurde dem
Kreis Nordhausen (im neuen Bezirk Erfurt) und Stolberg zum Kreis
Sangerhausen (im neuen Bezirk Halle) zugeordnet. Durch die
Neugründung der Länder im Jahre 1990 wurde aus der
Bezirksgrenze gar eine „Staatsgrenze“ zwischen Thüringen
und Sachsen-Anhalt, zumindest von thüringischer Seite handelt es
sich ja um einen Freistaat.
Geht man nun am Klippenwasser entlang um den Birkenkopf herum in das
Quellgebiet des Krebsbaches, der hier Tiefetalswasser heißt,
stößt man auf die markanten „Dreiherrensteine“.
So werden eigentlich Steine bezeichnet, an denen die Territorien von
drei Herrschern aufeinanderstießen. 1735 handelte es sich dabei
um den Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg (Hannover), den
Kurfürsten zu Sachsen und den Herzog von
Braunschweig-Wolfenbüttel (Fürstentum Blankenburg).
Allerdings ist das tatsächliche „Dreiländereck“
mehrere hundert Meter entfernt und nicht versteint, so dass die
Bezeichnung „Dreiherrensteine“ zwar tourismuswirksam,
aber streng genommen falsch ist.
Im Mittelalter war hier die Grenze zwischen den
Grafschaften
Hohnstein und Stolberg. Sie verlief nördlich des 600 m hohen
Birkenkopfes an der Alten Heerstraße im Südharz und ging
mit dem damals „Tyra“ genannten Krebsbach durch die
Nordhäuser Talsperre bis zu dessen Austritt aus dem Gebirge.
Hier verlässt die Grenzlinie den Bachlauf und geht durch die
Feldflur weiter nach Süden „bis uff die Straße, die
gehet von der Neuenstad nach Hermanns-Acker, von der Straß die
Scheidung zwischen Hermanns-Acker und Harzfeld auff der Fluhr-Markt
hin, bis an die Scheidung, da Hermanns-Acker und das Buchholtz zu
Hauffe gehen“. Bei dem Dorfe Buchholz schlägt die Grenze
ostwärts ein bis zum Rückhaltebecken am Iberg, dann
verläuft sie wieder in südlicher Richtung über den
Alten Stolberg „einen Weg uff, bis in den Weg, der da scheidet
der Herren Holtz und gemein Holtz“. Nun geht sie an der
Kalkhütte vorbei „den Weg hin bis an das Münnichholtz
vom Rode (Waldbesitz des ehemaligen Walkenrieder Klosterhofes
Nikolausrode auf dem Rodeberg bei Urbach), von dem Felde
Ammelsche....den Richtweg nieder bis an die Heimkele, von der Gruben
die Heinckele bis an die Tyra nieder bis unter Bösenroda, da das
Kelbrisch Gericht, und dann alsofort biß uff die Straße
zwischen Berga und Gerspich (Görsbach), und die Strasse alle
uff, bis wieder da die Halbach (Roßmannsbach) beneden
Northaußen in die Strasse fället“.
Noch jetzt kann man die Grenzlinie an Hand der gleich
nach 1735
gesetzten Wappensteine verfolgen.
Der unmittelbare Anlass zur Versteinung war ein
mehrjähriger
Streit zwischen Kursachsen und Kurbraunschweig, der durch einen am
30. August 1735 zu Nordhausen abgeschlossenen Rezess der beiden
Parteien beendet wurde. Die Schlussverhandlung fand also auf dem
neutralen Territorium der damals Freien Reichsstadt Nordhausen statt.
Dieser Vertrag regelte alle noch schwebenden Grenz- und
Hoheitsdifferenzen wegen des hannoverschen Teiles der Grafschaft
Hohnstein (=Amt Hohnstein).
Der Rezess bestimmte, dass anstelle der bisher
eingerammten
Grenzpfähle 252 Grenzsteine gesetzt werden sollten, die auf hannoverscher Seite das Ross,
auf sächsischer aber das
Löwenwappen zu tragen hätten. Mit diesem Wappen der alten
Landgrafschaft Thüringen, die zusammen mit der Markgrafschaft
Meißen im Jahre 1423 durch die Wettiner mit dem Kurlande
Sachsen-Wittenberg vereinigt wurde, sollte Sachsens Anspruch als
Rechtsnachfolger der Thüringer Landgrafen deutlich gemacht
werden. Es ist sicher auch als Machtdemonstration gegenüber den
Stolberger Grafen zu verstehen, die sich immer wieder der
sächsischen
Oberherrschaft zu entziehen versuchten.
Bei ähnlichen Grenzproblemen im Amt Bärenrode
hatten die
Grafen zu Stolberg mit dem anhaltinischen Fürsten eine
eigenständige Lösung ausgehandelt, die den sächsischen
Herrscher bewegte, die Grenzsteine gewaltsam entfernen zu lassen und
selbst eine Regelung mit dem Fürstenhaus Anhalt aushandelte.
Interessant ist noch ein Blick auf die
Entwicklung der
Besitzverhältnisse, die sich nach 1735 mehrfach gewandelt haben:
Jahr
|
Territorium
|
Status
|
1735
|
Kurfürstentum Sachsen
Kurfürstentum
Braunschweig
|
Landesgrenze
|
1803
|
Königreich Sachsen
Königreich
Westfalen
|
Landesgrenze
|
1815
|
Königreich Preußen
Königreich
Hannover
|
Landesgrenze
|
1866
|
Königreich Preußen, Provinz
Sachsen
Königreich
Preußen, Provinz Hannover
|
Provinzgrenze
|
1932
|
Provinz Sachsen, Kreis Sangerhausen
Provinz
Sachsen,
Kreis Grafschaft Hohenstein
|
Kreisgrenze
|
1952
|
Kreis Nordhausen, Gemarkung
Herrmannsacker
Kreis
Nordhausen,
Gemarkung Ilfeld
|
Gemarkungsgrenze
|
Mit dem Abstieg von einer Grenze zwischen
zwei Königreichen hin
zu einer reinen Gemarkungsgrenze zwischen zwei Gemeinden dürfte
allerdings das Ende dieser Entwicklung erreicht sein.
(M. Bolte unter Verwendung eines
Aufsatzes
von
Erich Rose)
Literatur:
[1] Erich Rose
Schreitender Löwe und Springendes Roß. Mitteilungen
über eine alte Territorialgrenze am Südharz. Beiträge
zur Heimatkunde aus Stadt und Kreis Nordhausen. Meyenburg-Museum
Nordhausen 1980
[2] Heinz Noack, Steffi Rohland, Manfred
Schröter
Die Grenzsteine der historischen Grenze Chursachsen-Churhannover im
Südharz. Veröffentlichungen des Landesamtes für
Archäologie - Landesmuseum für Vorgeschichte -
Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) 2000
[3]J.S.G(oe)b(e)l
Von den staatsrechtlichen Verhältnissen der Grafschaft Stolberg in
Thueringen gegen das Kurhaus Sachsen. Ein Beytrag zu dem Staatsrecht
und der Statistik der Kursaechsischen Lande. In C.E. Weiße
(Herausgeber) Diplomatische Beytraege zur Saechsischen Geschichte und
Staatskunde Leipzig 1799
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